Eine Frau liebt, eine Frau heiratet, eine Frau wird verstoßen, eine Frau verliert die Liebe ihres Mannes und windet sich vor Schmerz.Das Theaterstück "Yerma - Nach dem Tod" des Regisseurs und Lyrikers Nedjo Osman entstand frei nach Federico Garcia Lorca. Ein Mann liebt, ein Mann heiratet, ein Mann läßt sich von seiner Tradition einholen und zerstört seine Liebe. "Ich verstehe Djan, aber ich verstehe auch Yerma", sagt Nedjo Osman, der den Djan spielt."Ich bin Yerma, aber ich bin auch Djan.Und beides zu sein ist sehr schwer." Bei Nedjo Osman ist die "Yerma", anders als bei Garcia Lorca, eine Rom-Frau, die sich auf der Suche nach etwas "anderem" in den Rom Djan verliebt.Doch als sich bei der Hochzeit herausstellt, daß sie keine Jungfrau mehr ist, als kein Blut auf dem Laken zu sehen ist, wird sie von der Familie und den Nachbarn verflucht. Djan liebt sie, kann sich aber von der Tradition, die schließlich über seine Liebe siegt, nicht endgültig befreien."Meine Yerma ist anders als die von Lorca", sagt Nedjo Osman, "sie ist freier. Im Leben der Roma ist die Hochzeit das wichtigste Ereignis.Aber die Frau muß Jungfrau sein.Djan dachte, daß er wie Yerma werden könnte, daß seine Liebe stärker sei als die Tradition." "Yerma - Nach dem Tod" ist die erste Produktion des Romano Theatro, das Nedjo Osman im vergangenen Jahr in Köln gegründet hat.Er hat mit diesem Stück auch einen Teil seiner eigenen Geschichte thematisiert, die eigene Zerrissenheit und den Konflikt mit der Tradition auf die Bühne gebracht.Nedjo Osman ist Rom, Teil eines Volkes, das jahrhundertelang verachtet, ausgegrenzt, immer wieder verfolgt und dahingemordet wurde, eines Volkes, für das das Festhalten an seinen Traditionen die einzige Mögl ichkeit des Überlebens war. Das Leben der Roma, sagt Nedjo Osman, sei vor allem von Angst geprägt, Angst vor anderen, Angst um die Existenz."Wir sind über die Welt verstreut, mußten uns überall anpassen und gleichzeitig versuchen, Eigenes zu bewahren, um nicht unterzugehen.Dazu kommt, daß wir immer am Rand von etwas gelebt haben, am Rand der Städte, niemals in etwas, niemals im Zentrum.Wir waren nicht da, wo sich die Dinge veränderten.Das Problem der Jungfrau, die keine mehr ist, hat es früher in vielen Kulturen gegeben, a ber bei uns ist es noch sehr gegenwärtig.Veränderungen können nur sehr langsam geschehen." Nedjo Osman wurde 1958 in Skopje, im ehemaligen Jugoslawien, dem heutigen Makedonien, geboren.Seine Geschichte unterscheidet sich von der vieler anderer Roma.Sein Vater kam, nachdem das Haus der Familie während des schweren Erdbebens 1963 in Skopje völlig zerstört worden war, nach Neu-Skopje, in einen Stadtteil, der für die Opfer der Katastrophe gebaut worden war und wohin nur wenige Roma zogen.Sein Anderssein erfuhr Nedjo Osman erst in der Schule."Als ich in die Schule kam, als wir im Schulho f standen und in Zweierreihen in die Klasse gehen sollten, stellte sich niemand neben mich.Meine Mutter hat das gesehen, aber wir haben niemals darüber gesprochen.Auch in der Klasse saß ich immer alleine, und die anderen Kinder sangen Spottlieder üb er die Zigeuner." Erst Jahre später, als Nedjo Osman intensiv Sport zu treiben begonnen hatte - Fußball, Handball, Basketball - und darin sehr erfolgreich war, wurde er von den Gajo, wie die Roma alle Nichtroma nennen, akzeptiert.Aber auch von seiten der Roma, die in ihren abgegrenzten Vierteln lebten, wurde ihm immer wieder Mißtrauen entgegengebracht. "In ihre Viertel kam ich nur selten, und alles, was ich sah, war für mich sehr fremd.Die Jungen haben mir auf der Straße nachgerufen: ,Du glaubst wohl, du bist ein Gajo!` Ich war überall der Außenseiter. Aber ich habe niemals in meinem Leben geleugnet, daß ich ein Rom bin, wie viele andere, auch nicht in den schlimmsten Situationen. Es gibt viele Roma, die ihre Herkunft verleugnen.Weil ihnen der Mut fehlt, weil sie Angst haben." Nedjo Osman wurde Schauspieler. 1983 ging er ans Roma-Theater Pralipe, das damals noch in Skopje war. 1986 gab Pralipe ein Gastspiel in Subotica am Nationaltheater KPGT (die Abkürzung steht für das Wort "Theater" in vier jugoslawischen Sprachen), an dem die Regisseurin und Choreographin Nada Kokotovic künstlerische Direktorin war. Nada Kokotovic, seine heutige Lebensgefährtin, engagierte ihn kurz darauf für die Rolle des Othello.Nedjo Osman blieb im KPGT, es wurde geistig und emotional zu seiner Heimat. Zusammen mit ihrem damaligen Mann Ljubisa Ristic, dem Enfant terrible der jugoslawischen Theaterszene, stand Nada Kokotovic damals an der Spitze einer Theaterbewegung, die jeden Rahmen sprengte.Inszeniert wurde auf Seen, auf Fabrikdächern, in Kellergewölben, gespielt wurde in allen jugoslawischen Sprachen.Die kulturelle und ethnische Vielfalt Jugoslawiens war hier gelebte Wirklichkeit, was auch in diesem Vielvölkerstaat keine Selbstverständlichkeit war."Das wichtigste war, daß mich alle so angenommen haben, wie ich bin", erinnert sich Nedjo Osman, "ein Mensch, der dunkel und Zigeuner ist.In diesem Theater waren Ungarn, Serben, Kroaten, Makedonier, Slowenen, wir haben alle zusammen gespielt und gelebt.Es gab keine Unters chiede, alle waren anders, und alle waren gleich. Das Theater von Subotica war für mich das wirkliche Jugoslawien." 1991 wurde das Pralipe-Theater mit der Inszenierung der "Bluthochzeit" nach Mülheim an der Ruhr eingeladen.In der Hauptrolle: Nedjo Osman, der inzwischen einer der bekanntesten Schauspieler in Jugoslawien geworden war.Als kurz danach der Krieg in Jugoslawien ausbrach, fand das Pralipe-Theater in Mülheim eine neue Heimat. 1995 verließ Nedjo Osman Pralipe und gründete in Köln - in den Freien Kammerspielen - mit Nada Ko kotovic ein eigenes Theater: das TKO Koreodrama Theater und Romano Theatro. Das Romano Theatro soll, hat Nedjo Osman sich zum Ziel gesetzt, die Auseinandersetzung mit Roma-Themen und das Verständnis für diese Kultur fördern, Vereinfachungen und Klischees vorbeugen, aber auch an Tabus der Roma rühren und Traditionen in Frage stellen. Das Romano Theatro wendet sich gegen eine Ghettokultur, gegen Abgrenzung und die Fiktion des Rückzugs auf die eigenen kulturellen Wurzeln.Bei "Yerma - Nach dem Tod", Nedjo Osmans erster Produktion im TKO, sind die Schauspieler Roma und Nichtroma, es sind Bosnier, Makedonier, Deutsche, Belgier. "Ich versuche persönlich, meine eigenen Grenzen zu überschreiten", sagt Nedjo Osman, "ich will aus dem Ghetto heraus und universelle Themen behandeln.Die Frage, ob ein Mann mit einer Frau, die keine Jungfrau mehr ist, zusammenleben kann, steht symbolisch für die andere Frage, ob und wie man überhaupt zusammenleben kann, mit einer anderen Kultur, einer anderen Religion oder einer anderen Nationalität.Ich bin nicht gegen die Tradition, aber sie darf einem nicht die persönliche Freiheit rauben." Die jahrelange Zusammenarbeit mit Nada Kokotovic hat Nedjo Osman geprägt.Geprägt hat ihn vor allem ihre Form des Theaters, das Koreodrama, eine Symbiose aus Theater und Tanz.Beide arbeiten sie in ihren Produktionen in mehreren Sprachen, wenn auch mit unterschiedlichen Konzeptionen."In meinen Stücken sprechen die Schauspieler immer ihre Muttersprache, weil nur dann für mich absolute Authentizität gewährleistet ist", sagt Nada Kokotovic, "Nedjo läßt seine deutschen oder bosnischen Schauspieler auc h immer wieder Romani sprechen.Und das ist der Reichtum unseres gemeinsamen Theaters.Beides findet sich hier wieder, eine Welt für sich, in der man sich theoretisch und praktisch zu Hause fühlt und zugleich fremd ist, wo alles durch die verschiedene Umgehensweise mit Sprache möglich ist." Beide wollen sie nach dem Zerfall ihres Traums vom multikulturellen Jugoslawien nie wieder nationale und ethnische Vorurteile gelten lassen.Der Verlust dieses Traums war für die Kroatin Nada Kokotovic, die sich nicht in kroatische Grenzen zwingen lassen will, noch schmerzlicher als für den Rom Nedjo Osman."Wir Roma", sagt er, "sind nirgendwo wirklich zu Hause und auch nirgendwo wirklich Fremde.Uns gehört die ganze Welt, weil uns nichts gehört.Wir müssen uns immer wieder neuen Gegebenheiten anpassen und trotzdem wir selber bleiben.Ein Rom ist immer ein Schauspieler und ein Schauspieler immer ein Rom."